Kunstkritik

Dr. Peter Lodermeyer über Fabian Ewert

Holz ist der Werkstoff, mit dem der Künstler Fabian Ewert ausschließlich arbeitet – mehr noch: die spezifische Materialästhetik des Holzes ist für ihn der eigentliche Grund dafür, überhaupt Künstler geworden zu sein. Als gelernter Schreiner hat Ewert viel Erfahrung mit der Bearbeitung von Holz gesammelt und verfügt über gründliche Kenntnisse des Materials und seiner Eigenschaften. Der Entschluss, sich mit dezidiert künstlerischem Anspruch auf den Werkstoff Holz einzulassen, hat Ewert nach einer kurzen Phase der Selbstvergewisserung mittels figurativer Skulpturen schon bald zu einer Werkform geführt, die sich für ihn als das adäquate Medium erwiesen hat. So sind in den letzten Jahren zahlreiche nichtgegenständliche, durch eine dynamische Formgebung geprägte Reliefs entstanden, die Ewerts künstlerischen Vorstellungen in idealer Weise entgegenkommen. Er selbst spricht statt von Reliefs lieber von „Wandskulpturen“, und in der Tat trifft dieses Wort sehr genau die wesentlichen Charakteristika seiner Kunstform.

Ewerts Arbeiten sind im Sinne der Definition Skulpturen, keine Plastiken, denn aus den flachen, mehr oder weniger rechteckig zugeschnittenen Lindenholz-Platten, die ihm als Ausgangsmaterial dienen, nimmt er im Zuge des Arbeitsprozesses nur Material heraus; niemals wird welches hinzugefügt oder Teile angestückt. Das subtraktive Verfahren des Herausschneidens und -stemmens des Holzes, das Sich-hinein-Arbeiten in die Substanz des widerständigen Materials, die körperliche Kontaktnahme mit dem Holz selbst, sind entscheidende produktionsästhetische Punkte in der Kunst von Fabian Ewert.

Holz gehört zu den ältesten Bildhauermaterialien überhaupt. Es hat bis heute nichts von seiner Faszination, seinen Empfindungsqualitäten eingebüßt. Erstaunlicherweise haben es die für unsere moderne Lebenswelt typischen Materialien – insbesondere Kunststoffe aller Art – nicht vermocht, vergleichbare emotionale Bindungen zu erzeugen. Meist werden sie, trotz ihrer alltäglichen Vertrautheit, bestenfalls als ästhetisch neutral wahrgenommen, oft genug sogar als banal oder hässlich. Kein Wunder, dass viele Plastikprodukte das Aussehen von Stein oder Holz imitieren, um eine Naturanmutung vorzutäuschen. Holz als lebendige, organische Substanz besitzt unverwechselbare Eigenschaften, die sich sowohl visuell als auch haptisch vermitteln und charakteristische Empfindungen auslösen. Diese besondere Materialanmutung steht im Mittelpunkt der Arbeit von Fabian Ewert. Bewusst wählt er daher als Basismaterial seiner Wandskulpturen Holzstämme, die Lebensspuren aufweisen und somit nicht als Nutzholz, zum Beispiel im Möbelbau, in Frage kämen. Farbunterschiede, Flecken und Verfärbungen, Astlöcher, Risse und Grate, auffällige Maserungen – all das ist Ewert gerade recht, um das charakteristische Aussehen des Holzes zur Geltung zu bringen. Risse und Verfärbungen werden nicht kaschiert, sondern herausgestellt. Ewerts Arbeiten tragen übrigens keine Titel, weil dies ihre Betrachtung unnötig in eine bestimmte Richtung lenken würde; Jahreszahl und laufende Nummer müssen zur Kennzeichnung einer Arbeit genügen.

Ewerts Entscheidung, speziell Wandskulpturen zu schaffen, ist ausschlaggebend für die Rezeption dieser Werke. Wenn eine Arbeit an der Wand aufgehängt wird, stellt sich sogleich ein konkreter Bezug zu ihrem Umgebungsraum her. Die Entscheidung, ein Relief an einer bestimmten Stelle, in einer gewissen Höhe an einer Wand zu platzieren, wo es als Ganzheit wahrgenommen wird, kommt der Akzeptanz des Raumes und seiner Bedingungen, insbesondere der Lichtsituation, gleich. Damit ergibt sich zugleich ein intensiver Kontakt zum Betrachter. Dies gilt umso mehr, als Ewerts Arbeiten stets dem Rechteckformat angenähert sind, was ihnen eine einprägsame, bildhafte Qualität verleiht. Bezeichnenderweise handelt es sich bei den Wandskulpturen ausnahmslos um Hochformate. Dies entspricht dem Höhenwachstum des Baumes – und in der Tat respektiert Ewert die vertikale Richtung der Holzfasern –, anderseits spiegelt es auch die aufrechte Gestalt des Menschen. So stellt sich für die Betrachter – zumeist unbewusst – ein Bezug zum eigenen Körper her. Ein weiterer Grund für Ewerts Vorliebe für die hochrechteckige Form mag auch die Tatsache sein, dass er als Grafikdesigner eine naheliegende Affinität zu den geläufigen Proportionen von Buch- und Zeitschriftenseiten hat.

Das bildhafte Aussehen der Wandskulpturen wird durch ihre grafische Grundstruktur noch betont. Sie werden visuell bestimmt durch den Kontrast zwischen den erhabenen Partien einerseits, die mit Acrylfarbe in dunklem Anthrazit sowie eine aufgeraute Oberflächentextur gekennzeichnet sind, und tiefer in das Holz geschnittenen Stellen andererseits, welche die helle Eigenfarbe des Lindenholzes bewahren und nur partiell durch zarte weiße Farbspuren akzentuiert sind. Passend zur organischen Beschaffenheit des Materials sind die Formen, die Fabian Ewert seinen Reliefs gibt, lebendig geschwungen. Er zwingt ihr keine exakt geometrischen Linien auf, sondern belebt die Fläche durch kurvige Formen, Kringel und Bögen, die sich zuweilen zu prägnanten Zeichen verdichten oder ein dynamisches Mit- und Gegeneinander verschiedener Linienschwünge bewirken. Stets verbleibt die Bewegung der Flächen und Linien immanent im rechteckigen „Bild“-Geviert. Das Auge des Betrachters wird in permanenter Bewegung über das Relief, über Grate und Stege, durch konkav geschwungene Täler und Spalten geführt, aber nicht über die „Bild“-Ränder hinaus nach außen. Diese Zentralisierung der Arbeiten, ihre visuelle Verdichtung, schafft die formale Konzentration, die eine aufmerksame Betrachtung der Werke fördert. Zusätzliche Belebung erfahren die Wandskulpturen durch wechselnde Beleuchtung. Je nach Lichteinfall und -intensität samt entsprechender Schattenbildung kommen subtile, aber wirksame Unterschiede im Erscheinungsbild der Arbeiten zustande. Bei aller bildhaft grafischen Qualität gewinnen sie ihre Eigenheit letztlich doch durch die ihre skulpturale, körperhafte Präsenz.

Dr. Peter Lodermeyer